Die muslimische Jugendarbeit ist in einem Transformationsprozess. Einerseits diversifiziert sie sich in ihrer institutionellen Ausgestaltung, andererseits etabliert sich immer mehr die Wahrnehmung der muslimischen Jugendarbeit als die Erfüllung einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Dabei kommen sowohl auf Akteure der muslimischen Jugendarbeit als auch Vertretern von Verwaltung und Politik neue Herausforderungen zu.
In Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Formen der muslimischen Jugendarbeit entwickelt. Am ehesten dürfte in der allgemeinen Fachöffentlichkeit Jugendarbeit bei den muslimischen Verbänden vermutet werden. Die muslimisch-religiöse Verbandslandschaft aufbauend auf Moscheegemeinden ist aktuell die am weitesten entwickelte zivilgesellschaftliche Organisationsform von Muslimen in Deutschland. Tatsächlich bieten viele der Verbände entweder in einer eigenen Abteilung oder in eigenen Vereinsstrukturen Aktivitäten und Angebote für muslimische Jugendliche an. Die verbandsgebundene Jugendarbeit ist mittlerweile nicht mehr die einzige Form muslimischer Jugendarbeit. Neben dieser haben sich zahlreiche Initiativen etabliert, in denen sich Jugendliche in Form der Selbstermächtigung zusammengefunden und eigene Bedarfe formuliert haben. Weiterhin sind Jugendgruppen aus Vernetzungs- und Koordinierungsinitativen entstanden. In beiden Fällen liegt oftmals keine Zugehörigkeit zu einem Jugendverband oder einem Dachverband vor.
In der Fachöffentlichkeit wird das Bestehen der muslimischen Jugendarbeit kaum wahrgenommen. Weder für die Jugendsozialarbeit, noch in der Jugendverbandsarbeit gibt es eine eigene Kategorie für die muslimische Jugendarbeit. Bestehende und mögliche Bedarfe dieser Akteure werden dabei nicht wahrgenommen, milieu- und trägerspezifische Besonderheiten kaum beachtet. Die muslimische Jugendarbeit erscheint in diesem Kontext wie eine Black-Box, die weitgehend aus einer vorurteilsbeladenen Perspektive wahrgenommen wird. Eine tatsachengestützte Beurteilung ist für zahlreiche Akteure aufgrund fehlender Zugangsmöglichkeiten nicht möglich. Muslimische Jugendarbeit wird als die Vermittlung von religiösen Inhalten wahrgenommen, die gesellschaftsorientierten Inhalte fallen eher selten auf. Ein passendes Qualifizierungsangebot zur Überwindung der trägerspezifischen Herausforderungen wird in der Regel nicht angeboten, der Bedarf dafür nicht gesehen.
Auf der Seite der muslimischen Akteure fehlt es oftmals an der notwendigen Kenntnis über die Möglichkeiten der öffentlich geförderten Jugendsozial- und Jugendverbandsarbeit. Viele können nicht auf die langjährige Erfahrung einer Verbandsstruktur zurückgreifen und selbst dort, wo es solch eine mehrschichtige Struktur gibt, fehlt es auf allen Ebenen an entsprechender Fachkenntnis. Die Aktiven haben Probleme, ihre Arbeit adressatenspezifisch darzustellen. In der eigenen Wahrnehmung fehlt es an einer funktionalen Differenzierung der jeweiligen Tätigkeitsbereiche, der Herausarbeitung der jugendspezifischen Inhalte und insbesondere der Unterscheidung zwischen religiösen und gesellschaftsorientierten Angeboten. Dabei gibt es in der Selbstwahrnehmung der muslimischen Jugendarbeit, insbesondere die der verbandlich organisierten bei der Frage der angenommenen und tatsächlichen Gewichtung von religiösen und gesellschaftsorientierten Angeboten eine Diskrepanz. Da oftmals keine Unterscheidung zwischen diesen Angebotsformaten gemacht wird und in der internen Legitimation der Bedarfe der Jugendarbeit die Religiosität eine besondere Stellung hat, wird in der Darstellung der eigenen Arbeit das Religiöse übermäßig gewichtet, das gesellschaftsorientierte oftmals als „selbstverständlich“ nicht erwähnt.
Die genannten Transformationsprozesse und Herausforderungen führen nicht nur zu einer Diversifizierung der institutionellen Ausgestaltung der muslimischen Jugendarbeit. Die Mitwirkenden sehen immer öfter in der muslimischen Jugendarbeit die Erfüllung einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Dazu ist aber eine intensivere Beschäftigung mit dem eigenen Verständnis und der Rolle als muslimischer Jugendverein notwendig. Was zeichnet muslimische Jugendarbeit aus, gibt es dafür spezifische Konzepte und Inhalte, gibt es Verbindendes und Trennendes zu anderen Akteuren der muslimischen und nicht-muslimischen und auch nicht-religiös geprägten Jugendarbeit? Dies sind Fragen, die auf eine Diskussion und einen Austausch unter den Interessierten warten.
Aktuell gibt es keine Koordinierungs- und Diskursplattformen der muslimischen Jugendarbeit, auf denen diese Fragestellungen gemeinsam erarbeitet werden könnten. Die Akteure sind in unterschiedlichen Kontexten und Ebenen aktiv und können sich nur selten über ihre Aktivitäten und Zielsetzungen austauschen. Wenn es diesen internen Austausch nicht gibt, wird es kaum möglich sein, eine Interessenvertretung der muslimischen Jugendarbeit gegenüber Verwaltung, Politik und der Zivilgesellschaft zu etablieren. Solch eine Interessenvertretung wird es brauchen, um die Notwendigkeit der Aufnahme der muslimischen Jugendarbeit in die Regelförderstrukturen der Jugendsozial- und Jugendverbandsarbeit mit Nachdruck zu artikulieren.
Engin Karahan wurde 1979 geboren und war über zehn Jahre in muslimischen Migrantenselbstorganisationen (MSO) für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Organisationsmanagement und Religionsverfassungsrecht zuständig. Unter anderem war er in diesen Funktionen an der ersten und dritten Deutschen Islamkonferenz des Bundesinnenministeriums und dem Dialogforum Islam des Landes Nordrhein-Westfalen beteiligt. Karahan ist Gründungs-und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft e.V.