Das Fatih-Kulturhaus kennt in Kreuzberg jeder und wer es nicht kennt, der weiß zumindest, wo es ist: Über dem Rewe in der Falkensteinstraße, da, wo besonders viele Dealer stehen und Jugendliche aus ganz Europa zum Feiern kommen. Ausgerechnet hier liegt das Fatih-Kulturhaus, ein islamischer Kulturverein mit Moschee, Gemeindezentrum und Kantine. Das vielstöckige Eckhaus erscheint vielen seiner Mitglieder wie eine Festung, in der sie Zuflucht finden. Lange blieben die Mitglieder für sich, doch nach und nach wurden die Probleme draußen immer größer und die Jüngeren in der Gemeinde suchten den Kontakt zu anderen Gemeinden und Jugendgruppen im Kiez. Keremcan (27) vom Jugendvorstand erzählt im Interview mit Julia Gerlach, wie es zur Öffnung gekommen ist und wie sich die Gemeinde dadurch verändert hat.
Vielleicht könnten Sie sich kurz vorstellen. Wer sind Sie und was machen Sie?
Keremcan: Ich bin 27 Jahre alt und habe gerade meinen Master als Wirtschaftsingenieur gemacht. Ehrenamtlich engagiere ich mich hier im Fatih-Kulturhaus in der Jugendarbeit. Ich selbst war schon als Kind hier und hatte Spaß, da wollte ich den Jugendlichen, die nach mir kommen, auch helfen, eine gute Zeit zu verbringen und nicht auf die falsche Fährte zu kommen. Wir gehen Fußballspielen und organisieren Abende, zum Beispiel Playstation-Abende. Wir machen aber auch Treffen, wo wir bestimmte Themen besprechen: Zum Beispiel zur Stellung der Familie und religiöse Fragen. Es sind so 30 Jugendliche, die regelmäßig kommen.
Seid ihr mehr ein Jugendclub oder eine Gruppe?
Keremcan: Es ist eigentlich beides: Wir haben in der Kantine eine Jugendecke, damit die Jugendlichen einen Ort haben, wo sie sein können. Das ist eigentlich wie in einem Jugendclub. Daneben haben wir aber auch Gruppen, wo sich die Jugendlichen regelmäßig treffen. Es gibt auch die Mädchengruppe Alia, aber die treffen sich getrennt.
Vor einiger Zeit habt ihr ein Projekt gestartet. Es wurde auch vom RAA gefördert. Was habt ihr gemacht und wieso?
Keremcan: Unser Ziel war, die anderen Jugendgruppen hier in der Gegend kennenzulernen und uns zu vernetzen. Wir sind also losgegangen, haben Kontakt aufgenommen und haben sie besucht. Wir waren bei der St. Marien-Gemeinde, der Tabor-Gemeinde, CHIP, einem Mädchenverein und bei Kreutzer. Wir haben sie eingeladen, dass wir uns treffen. Zunächst hatten wir die Idee, ein Straßenfest zu veranstalten, wo sich die einzelnen Projekte an Ständen präsentieren können. Das war dann aber zu kompliziert und wir haben uns dann unter uns getroffen.
Wer war dabei und was habt Ihr gemacht?
Keremcan: Es kamen Vertreter der anderen Vereine. Leider waren es zumeist nicht die Jugendlichen, sondern eher die Betreuer. Es gibt nämlich ein Problem. Wir machen ja die Jugendarbeit ganz und gar ehrenamtlich, deswegen können wir immer nur nach Unischluss und am Wochenende. Die anderen Projekte werden aber von Hauptamtlichen gemacht und die können Aktivitäten mit Jugendlichen nur während der Öffnungszeiten machen. Es war trotzdem ein schöner Tag. Wir hatten Bubble-Balls organisiert. Da steigt man dann ja in aufblasbare Kugeln und spielt Fußball. In erster Linie haben wir aber geredet.
Worum ging es denn in den Gesprächen?
Keremcan: Es zeigte sich, dass uns ähnliche Dinge beschäftigen: Die Sauberkeit der Straßen, die Sicherheit. Es gab eine Zeitlang viele betrunkene Obdachlose, die Probleme gemacht haben. Und natürlich der Marihuana-Verkauf. Das Wichtigste war aber, dass wir uns ein bisschen besser kennengelernt haben. Die St. Marien- und zur Tabor-Gemeinde haben wir danach auch noch ein paar Mal besucht und sie uns. Als nächstes wollen wir jetzt ein Straßenfest organisieren.
Was hat sich seitdem verändert?
Keremcan: Dieses Treffen war der erste Schritt hin zu einer Öffnung. Vorher hatten einige Gemeindemitglieder persönliche Kontakte zu Nachbarvereinen und anderen Gemeinden. Jetzt haben wir diese Kontakte als Gemeinde. Eine unserer Kandidatin ist ja jetzt auch in den Park-Rat vom Görlitzer Park gewählt worden. Wir wurden auch in die Regional AG aufgenommen. Da vernetzen sich alle Jugendprojekte des Bezirks. Da zeigt sich zwar wieder das Problem, dass wir als Ehrenamtliche nicht zu den gleichen Terminen wie die Hauptamtlichen Zeit haben, aber immerhin sind wir jetzt auf den Email-Verteilern und kriegen mit, was los ist.
Das Projekt wurde ja im Rahmen von „extrem demokratisch“ als Präventionsprojekt gefördert. Welche Rolle spielt der Präventionsgedanke?
Keremcan: Radikalisierung ist bei uns eigentlich kein Problem, wir sehen aber Prävention auch ein bisschen weiter. Wenn wir den Jugendlichen einen Raum geben und sie von Alkohol, Spielsucht und Drogen fernhalten, ist das doch auch Prävention. Wenn Sie hier die Straße herunterlaufen, dann werden sie 20 Mal angesprochen, ob sie etwas kaufen wollen. Wenn ein Jugendlicher 20 Mal gefragt wurde, sagt er irgendwann „ja“. Wir wollen den Jugendlichen eine Alternative bieten und zugleich die Situation verändern: Wir versuchen, die Dealer bei der Polizei anzuzeigen.
Was würden Sie anderen Projekten empfehlen? Welche Tipps können sie geben?
Keremcan: Wichtig ist, dass man versucht in bestehende Netzwerke hineinzukommen. Das ist leichter und effektiver, als selbst neue aufzubauen.