Die Diskussion um die Ausweitung des Wahlrechts auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen war schon immer ein Streitpunkt. 1848 diskutiert man über die launenhafte Unterschicht und ob Frauen die geistige Reife haben, um wählen zu können. Seit ca. 100 Jahren konzentriert sich die Diskussion vor allem um das Wahlalter von Kindern und Jugendlichen.
Die Geschichte des Wahlalters:
- 25 – 1849 besagte die deutsche Reichsverfassung noch, dass nur männliche Deutsche mit einem Alter von mindestens 25 Jahren, die im besitzt der bürgerlichen Ehrenrechte waren, berechtigt waren zu wählen
- 20 – 1919 wurde das Wahlalter auf 20 Jahre gesenkt und erstmals durfte auch Frauen wählen.
- 21 – Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Wahlalter wieder um ein Jahr erhöht.
- 18 – 1960 Befürwortete Gustav Heinemann (SPD), ehemaliger Bundesjustizminister und Bundespräsident, eine Senkung des Wahlalters. Mit dem Argument: Es könne nicht sein, dass der Staat 18-jährige zu Soldaten mache, sie aber erst mit 21 Jahren wählen lasse (1). Dies wurde ein zentrales Argument in den folgenden Jahren. Im Juli 1970 wurde im Grundgesetz das Wahlalter auf 18 Jahren gesenkt, weil dies eine Voraussetzung dafür war das Wahlgesetzt zu ändern. Im Juni 1972 gab es eine Abstimmung im Bundestag über die Senkung des Wahlalters auf 18 Jahren. Diese wurde mit nur einer Enthaltung aus der Union und sonstiger Ja -Stimmen verabschiedet. 1972 durften erstmals die 18 bis 21-jährigen bei der Bundestagswahl wählen
- 16 – Ab 1995 senkten die ersten Bundesländer das Wahlalter bei Kommunal- und Landtagswahlen.
Vorschläge zum Mindestwahlalter
- Generelles Mindestwahlalter ab 16
- Generelles Mindestwahlalter ab 14 z.B. die Initiative #alt_genug des Landesjugendrings Baden-Württemberg. Unter dem Titel „Mehr Macht für Kinder und Jugendliche!“ hat die Vollversammlung des Landesjugendrings am 09.11.2019 ein Positionspapier beschlossen, welches erneut die Wahlaltersenkung auf 14 Jahre auf allen Ebenen fordert. Einen Schritt zur Wahlaltersenkung auf Landesebene leistet das – vom Landesjugendring mitgegründete – Bündnis „alt genug“. Das Bündnis fordert die Absenkung des Wahlalters auf Landesebene zunächst auf 16 Jahre und besteht aus Akteur*innen aus der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit sowie jugendpolitischen Organisationen. Die Jugendlichen des Projekts „Der Tugendvogel“ hab sich dazu entschieden, sich diesem Bündnis anzuschließen.
- Generelles Mindestwahlalter ab 0 – Wahlrecht ab der Geburt als Familienwahlrecht bis zur Mündigkeit der Kinder von den Eltern ausgeführt. Damit könnten Eltern mehrere Stimmen in Wahlprozesse einbringen und somit Familienpolitik stärker gestalten. Die Vertretung der Wahlstimme würde aber dem Grundsatz der Unmittelbarkeit widersprechen, d.h. jede*r muss in einer Demokratie ihr*sein Wahlrecht selbst nutzen.
- Kinder und Jugendliche wählen, wenn sie sich für die Wahl registrieren – unabhängig vom Alter. Damit wären wahrscheinlich Kinder und Jugendliche aus höheren Bildungsschichten, deren Eltern auf eine politische Teilhabe bestehen überrepräsentiert. Ähnlich junge Menschen aus extrem positionierten Familien, die die Stimmen ihrer Kinder mitnutzen würden. Die Repräsentanz aller Bevölkerungsgruppen wäre mit diesem System nicht gewährleistet.
Argumente Pro-Contra einer Wahlaltersenkung
Reife und Manipulierbarkeit
Contra: Jugendliche sind manipulierbarer und folgen Vorbildern, Eltern oder eher radikalen Positionen. Sie haben noch nicht die Reife und das Verantwortungsbewusstsein, um gute Entscheidungen treffen zu können. Sie fallen eher auf Fake News im Internet herein, weil sie ihre Informationen hauptsächlich von den Sozialen Netzwerken holen.
Pro: Jugendliche ab 16 haben die persönliche Reife, das politische Wissen und Interesse, eine Wahlentscheidung treffen zu können. Das Absprechen von Reife ist eine Form der Diskriminierung und diese Debatte wurde bereits früher bei anderen Bevölkerungsgruppen geführt z.B. Frauen, Arbeiter*innen etc. Außerdem lässt sich Reife nicht messen, und wenn dann müsste man auch Erwachsene nach ihrer Reife bemessen. Radikalisierung und Manipulierung finden auch im Erwachsenenalter statt #Altersradikalisierung. Testwahlen und Länder in denen es bereits ein allgemeines Wahlrecht ab 16 gibt wie Österreich zeigen, dass jüngere Wähler*innen eher etablierte Parteien der bürgerlichen Mitte wählen. Junge Menschen als Digital Natives, die mit dem Internet groß geworden sind, können Clickbaits, Fake News und Social Bots kompetenter erkennen, als viele Erwachsene der Generation Digital Nomads.
Politische Bildung
Contra: Die demokratische Qualität hängt vom Wissen und der Reife der Wählenden ab. Schulen bereiten Jugendliche nur unzureichend vor. Die komplexen Inhalte der politischen Arbeit sind für diese Altersgruppe noch nicht geeignet.
Pro: Demokratisches Wissen ist nicht Voraussetzung für das Recht auf Teilhabe. Dieses ist universell und hat keine Aufnahmekriterien. Viele Erwachsenen fehlt übrigens ebenfalls Interesse und politisches Wissen. Ihr Wahlrecht wird ihnen deshalb weder vorenthalten noch aberkannt.. Den jungen Menschen Reife und Intelligenz zum Verstehen komplexer Inhalte abzusprechen ist diskriminierend und erinnert an bereits geführte Debatten z. B. zum Frauenwahlrecht vor 100 Jahren. Mit einer Absenkung des Wahlrechts müssten Schulen die politische Bildung bereits früher integrieren und Kinder und Jugendliche altersgerecht informieren. Ebenso müssten Parteien und politische Institutionen ihre Wahlprogramme auf die neue Zielgruppe verständlich ausrichten. Davon könnten auch viele Erwachsene profitieren.
Politische Interessen
Contra: Besonders bestimmte Parteien drängen darauf, die mit ihrem Thema eine große Zustimmung bei jungen Leuten finden. Das ist reine Parteipolitik und ein Verfahren darf nicht deswegen geändert werden.
Pro: Gerade in einer alternden Gesellschaft müssen die Interessen junger Menschen berücksichtigt werden. Politiker*innen werden sie dann auch mit ihren Interessen als potentielle Wähler*innen wahrnehmen. Besonders Entscheidungen, die Auswirkungen über die Lebensspanne der aktuellen Entscheidenden haben z.B. Klimapolitik, Verschuldung, müssen diese Betroffenen dieser Entscheidungen auch mit einbeziehen. Gerade in einer alternden Gesellschaft ist die Berücksichtigung junger Menschen umso wichtiger, um zukunftsfähig und nachhaltig zu entscheiden. Und wenn junge Menschen z.B. als Auszubildende bereits Steuern zahlen, dann sollten sie auch mitentscheiden können, was mit ihrem Geld passiert.
Wahlbeteiligung und Interesse
Contra: Die Absenkung des Mindestwahlalters könnte die Wahlbeteiligung senken und damit die Legitimation der Wahl gefährden. Besser ist es Jugendgremien zu unterstützen.
Pro: Jugendliche wollen wählen, wenn sie die Chance dazu bekommen. Wenn sie früher eingebunden werden, werden sie auch aktiver dabei sein, weil es dann normal ist, sich zu beteiligen. Länder mit niedrigerem Wahlalter konnten nicht belegen, dass dadurch die Wahlbeteiligung niedriger war. Im Gegenteil: Die Identifikation steigt und der Politikverdrossenheit kann effektiv begegnet werden. Junge Menschen interessieren sich früher für Politik und können sich auch früher für politische Ämter interessieren. Eine Umleitung in Jugendgremien ist eine gute Beteiligung ersetzt aber nicht die allgemeine Partizipation.
Komplizierte Verfahrensänderung
Contra: Eine Altersabsenkung bedeutet eine Änderung des Grundgesetzes Art. 38 Absatz 2. Eine Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundesrat muss dafür gewonnen werden.
Pro: Seit der Einführung des Grundgesetz wurde dieses bereits über 60mal verändert – fast 1mal im Jahr. Auch hierfür kann man eine Änderung anstreben.
Dieses Thema wurde im Rahmen des Projekts „Der Tugendvogel“ behandelt. Es gibt bei den Jugendtreffs den PolitTalk, bei dem die Jugendlichen über ihre Sorgen und Interessen diskutieren und mehr Hintergrunderfahrungen bekommen können.