Rassismus, Mobbing, Diskriminierung, Sexismus …
Jeden Tag begegnen wir diesen Worten ohne sie immer genau zuordnen zu können. Aber etwas haben sie immer gemeinsam: Es gibt Täter*innen und Betroffene. Im folgenden Text werden wir Diskriminierung und Begriffe, die damit einhergehen, näher erklären.
#Das geht gar nicht
Einem muslimischen Werkstudent wird vom Seniormanager zu Ramadan folgende Frage gestellt: „Fühlt es sich eigentlich nicht scheiße an, wenn man im Sommer fasten muss?“ Er war tief verletzt, weil die ihm wertvolle Glaubenspraxis mit einem Schimpfwort in Verbindung gebracht und er, versteckt in einer Frage, beleidigt wurde. Das geht gar nicht – auch nicht als Witz!
Was ist normal?
Bei Diskriminierung geht es immer darum, was vermeintlich „normal“ ist, d.h. was der Norm entspricht. Diese Norm kann sich über die Zeit verändern, aber sie ist immer gesamtgesellschaftlich erlernt. Eine typische Norm ist z.B. männlich, weiß, blond, ca. 35 Jahre alt, heterosexuell, aus der Mittel- bis Oberschicht, schlank, nicht-behindert, deutsch. Die Norm wird von denen gesetzt, die Macht haben und wird von jenen unterstützt, die mitmachen. Interessanterweise stimmt in den meisten Fällen die Mehrheit einer Gesellschaft nicht mit dieser Norm überein: Es gibt Frauen, es gibt Ältere und Jüngere, es gibt Ärmere oder Menschen mit Behinderung usw., aber trotzdem eifert die Mehrheit der Gesellschaft diesem gesetzten Ideal nach.
Das Problem: Umso mehr Merkmale jemand nicht erfüllt, umso mehr entspricht der*diejenige nicht der Norm und wird entsprechend markiert. Jemandem, der weitestgehend den herrschenden Normen entspricht, können ebenfalls aufgrund seiner Merkmale Zugänge versperrt sein z.B. als Mann, der nicht in einem Frauenfitnesscenter Sport treiben darf. Man spricht in diesem Fall jedoch nicht von Diskriminierung, sondern von Ausschluss. Denn er gehört trotz dieses Ausschlusses weiterhin einer privilegierten Gruppe der Gesellschaft an.
Nicht jeder Ausschluss ist eine Diskriminierung,
ABER jede Diskriminierung hat einen Ausschluss in sich.
Jeden Ausschluss gleich als Diskriminierung zu bezeichnen relativiert die Folgen für Betroffene von Diskriminierung. Übrigens: Angehörige der Norm bzw. mächtigeren Gruppe können per Definition nicht diskriminiert werden.
Das Denkkonzept vom Anderen
Es gibt Theorien, dass der Mensch in Binaritäten (Gegensatzpaaren) denkt, d.h. wer nicht normal ist, muss demzufolge anders sein. Diese Unterscheidung in „Wir, die Norm“ und „Ihr, die Anderen“ spiegelt einen der ersten Schritte wider, die am Ende zu Diskriminierung führen: dem Othering, d.h. man markiert jemanden als „Anders“. Binäre Paare können beispielsweise folgendermaßen aussehen: Wenn die Norm „fleißig, fortschrittlich und hübsch“ ist, dann sind „die Anderen“ im Umkehrschluss „faul, altmodisch und hässlich“. Schnittmengen gibt es in diesem Denkmodell nicht.
Was passiert also beim Othering?
- Reduktion: Der*Die „Andere“ wird auf wenige, vermeintlich typische, Eigenschaften reduziert. Eine Erwartungshaltung entsteht.
- Totalisierung: Diese Eigenschaften werden auf all jene übertragen, die ebenfalls markiert wurden, d.h. alle in dieser Gruppe
sind so und können nicht anders sein – ein stereotypes Bild entsteht oder auch eine „Single Story“. - Exotisierung: Die Eigenschaften dieser Gruppe sind anders und gehören nicht zur Norm, demnach gehören diejenigen
nicht hierher. Sie sind Fremde.
Überhöhung und Erniedrigung
Diskriminierung beinhaltet immer, dass sich die gebildeten Gruppen nicht mehr auf Augenhöhe begegnen und eine Gruppe die andere Gruppe aus einer erhöhten Perspektive betrachtet und wahrnimmt. Meist dominiert dabei die Gruppe, die mit mehr Privilegien und Macht ausgestattet ist, diejenige, die sie als fremd markiert hat. Oft wird in diesem Prozess auch ein Begriff für „die Anderen“ geprägt, der sich gesamtgesellschaftlich durchsetzt, aber von den Betroffenen nicht als Eigenbezeichnung gewählt wurde. Durch die Fremdbezeichnung wird die Exotisierung auch noch sprachlich zementiert und die Macht über „die Anderen“ betont, die damit sogar ihre Fähigkeit auf die Wahl eines eigenen Namens verlieren und fremdbezeichnet werden. Zur Sensibilisierung zu einem diskriminierungsfreien Verhalten hilft bereits eine Korrektur der Sprache. Besser ist z.B. Sinti, Gehörlose, Muslim*innen.
Auch gut zu wissen:
PoC (people of color) und Schwarz (mit grossem S) beziehen sich nicht auf Aussehen oder Hautfarbe sondern sind selbstgewählte Begriffe von Menschen, die Rassismus erleben und dagegen politisch Widerstand leisten. Typisch bei Diskriminierung ist das Phänomen der Mehrfachdiskriminierung, d.h. Personen können von verschiedenen Diskriminierungsformen betroffen sein. Meistens drehen sie sich dabei um „Race, Class, Gender“. Nicht passend sind Begriffe, die auf „phobie“ enden z.B. Islamophobie (Angst vor dem Islam) oder Xenophobie (Angst vor dem Fremden). Sie stammen aus der Medizin und beschreiben Angstkrankheiten, die behandelt werden können.
#Das geht gar nicht
Im Unterricht werden verschiedene Länder besprochen; eine Jugendliche, deren Vater aus Marokko stammt,
wird von einer Mitschülerin gefragt: „Erzähl doch mal aus deinem Land!“ Diese Aufforderung ist für die muslimische Schülerin unver-
ständlich und sie fühlt sich ausgeschlossen. Sie wird auf einmal zu einem anderen Land dazugehörig erklärt, was aus ihrer Sicht überhaupt nicht der Fall ist. Deutschland ist ihr Land. Kein Problem ist es hingegen, wenn sie sich selbst dazu bereit erklärt, weil sie Freude daran hat, über dieses Land zu erzählen.
Positiver Rassismus? – Geht das überhaupt
Im Rahmen der Versuche, NICHT zu diskriminieren und sich auf Augenhöhe zu begegnen, kann auch eine vermeintlich gut gemeinte Äußerung verletzen. Manche nennen das auch „Positiven Rassismus“. Dabei werden Mitglieder einer diskriminierten Gruppe als Repräsentanten*innen dieser Gruppe aufgefordert z.B. für diese zu sprechen z.B. „Erzähl mal, du als Muslim*in, wie das im Islam so ist“ oder „Das Tanzen liegt dir im Blut – das ist bestimmt dein afrikanisches Erbe“. Sie werden als „Anders“ markiert, zur Schau gestellt und sollen ihr Wissen teilen. Bei Diskriminierung gilt immer:
Nicht die Absicht zählt, sondern die Wirkung! D.h. selbst wenn die Absicht gut gemeint war: Fühlt sich der*die Angesprochene dabei unwohl, war die Wirkung diskriminierend.
Ismuse und ‘isms
Mittlerweile beschäftigt sich die Wissenschaft mit einer Reihe unterschiedlicher Diskriminierungsformen. Ihre Bezeichnung zeigt auch, in wie weit diese bereits im deutschsprachigen Raum Anerkennung gefunden haben.
- Rassismus: Wir wissen, dass es keine unterschiedlichen Menschenrassen gibt, aber Rassismus ist anpassungsfähig und ersetzt Rasse mit Kultur- und Religionszugehörigkeit.
- Colorism: Colorism ist Diskriminierung anhand der farblichen Abstufungen der Haut. Dabei wird nach dem Prinzip „Je heller desto besser“ gewertet.
- Sexismus: Der heterosexuelle Mann gilt als das Ideal und Abweichungen werden abgewertet z.B. verdienen Frauen auch heute noch für die gleiche Arbeit weniger als Männer.
- Antisemitismus: Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens.
- Antimuslimischer Rassismus: Diskriminierung von Muslimen*innen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit. Mittlerweile wird auch oft vom Aussehen auf das „Muslimsein“ geschlossen z.B. wenn ein Mann aus modischen Gründen einen Vollbart trägt.
- Gadjé-Rassismus: Diskriminierung gegen Angehörige der Roma und Sinti von Seiten der Gadjé (Bezeichnung für diejenigen, die nicht den Roma und Sinti angehören)
- Behindertenfeindlichkeit: Diskriminierung aufgrund körperlicher/ geistiger Einschränkungen.
- Lookism: Diskriminierung aufgrund der äußerlichen Erscheinung (engl. look) z.B. fatshaming, bodyshaming, auch Körpergrößen, die von der Norm abweichen, der Haarstruktur etc..
- Ageism: Diskriminierung aufgrund des Alters, z.B. „Du bist zu jung, um das zu verstehen.“
- Klassismus: Diskriminierung aufgrund der sozialen und/ oder ökonomischen Herkunft und Stellung eines Menschen z.B. Hartz IV-Empfänger oder Obdachlose.
- Hetero-cis-sexismus: Unterdrückung von Menschen, die nicht in die Geschlechterbinarität passen, weil sie z.B. homosexuell lieben und/ oder trans- oder intersexuell sind.
#Das geht gar nicht
Ein Jugendlicher, dessen Vater aus Ägypten stammt, schreibt in Geschichte zum Thema Ägypten die Note eins. Der Lehrer behauptet vor der ganzen Klasse: „Du hast eine eins geschrieben, weil du ja auch Ägypter bist!“. Diese Feststellung zu der Leistung des Schülers wurde als verletztend empfunden. Die Bemühungen des Schülers, eine gute Arbeit zu schreiben, wurden abgewertet und nicht auf seine Leistung, sondern auf seine Herkunft reduziert.
Das ohnmächtige Objekt
Diskriminierung bedeutet, dass Menschengruppen von anderen Gruppen konstruiert und abgewertet werden. Diese konstruierende Gruppe ist zusätzlich in der gesellschaftlichen Position, diese Abwertung in verschiedenen Formen wirksam werden zu lassen, d.h. sie hat die Macht die Abwertung auch umzusetzen. Mit der Reduzierung, dem Abwerten und Diskriminieren werden die Betroffenen entmenschlicht. Sie werden zu Stereotype, die konstruiert und beliebig verschoben werden können. Sie werden zum Objekt. So gibt es plötzlich z.B. kein Mitleid mehr für Hilfsbedürftige, die einer dieser Gruppen angehören. Ihre Bedürfnisse werden als weniger wichtig wahrgenommen oder ihnen auch als Lüge unterstellt. Hemmschwellen fallen, persönliche und körperliche Grenzen sowie Intimitätsrechte werden überschritten. In letzter Konsequenz werden sie zunehmend Opfer von Gewalt.
#Das geht gar nicht – ein paar alltägliche Beispiele
Schwarzen Menschen mit krausen Haaren wird gerne ohne zu fragen ins Haar gefasst, um die persönliche Neugier zu befriedigen
Muslime*innen, teilsweise Kinder, sollen vor der Klasse/ in Gruppen erklären, warum im Islam Manches erlaubt/verboten ist, obwohl sie keine Theologen sind.
Gehörlose Menschen werden nicht in Gespräche einbezogen – man spricht in ihrer Gegenwart über sie. Taubheit bedeutet jedoch nicht stumm zu sein.
Muslimische Frauen werden von Bekannten, Kollegen und Fremden zu ihrem Sexualleben befragt, um allgemeines Interessezu bekunden.
Der Objektstatus bedeutet …
- … keine Handlungsmöglichkeiten und keine Handlungsräume zu haben.
- … keine „Stimme“ zu haben.
- … sich ohnmächtig, würdelos und gesichtslos zu fühlen.
- … keine Rechte und Entscheidungsgewalt wahrnehmen zu können. … Kultur, Ästhetik, Verantwortung und „Tugenden“ abgesprochen zu bekommen.
- … keine Selbstbestimmung zu haben.
- … auf ein Bild festgelegt und festgeschrieben zu sein.
- … weder auf Mitgefühl noch auf Empathie zählen zu können.
Empowermentarbeit sozialer Projekte setzt hier an und unterstützt Menschen darin, sich Selbstermächtigung und Selbstbewusstsein zurück zu holen. So können sie sich aus der Ohnmacht befreien, um sich dann gestärkt als handlungsfähiges, selbstbestimmtes Subjekt Diskriminierung zu widersetzen.
Hilf Dir und anderen
- Halte Abstand: Du musst dich nicht auf jede Situation einlassen. Antworte gerne mal mit „Dafür hab ich gerade keine Zeit“ und signalisiere so, dass der Angriff des Gegenübers unwichtig ist.
- Reagiere früh: Wenn du merkst, dass sich jemand diskriminierend verhält, sprich sie*ihn höflich aber bestimmt direkt darauf an. Manche Leute diskriminieren nicht absichtlich und können aus deinem Hinweis achtsamer werden.
- Steh auf gegen Diskriminierung: Nimm aktiv an Aktionen und Organisationen teil, die sich gegen Diskriminierung engagieren. Die Gemeinschaft gibt dir Kraft und die Aktionen können zu Veränderungen führen, die Gleichberechtigung fördern – besonders Kunst- und Kulturprojekte sind ein guter Startpunkt.
- Wissen macht stark: Lerne so viel du möchtest über Diskriminierung, die du erlebst. Das kann dir helfen, die Diskriminierung zu durchschauen und sie als System zu begreifen an dem du nicht schuld bist.
- Bleib König*in der Situation: Wenn dich jemand diskriminiert, versucht er*sie dich zu erniedrigen und sich selbst über dich zu stellen. Signalisiere in Sprache, Körperhaltung und Inhalt der Antwort, dass du nicht unter ihm*ihr stehst. Bleib sachlich.
- Hol Dir Hilfe: Mittlerweile gibt es erste Beratungsstellen und Notfalltelefone, die dir weiterhelfen können, Sozialarbeiter*innen in deiner Schule oder Antidiskriminierungsbeauftragte sind kompetente Ansprechpartner*innen.
Die ilevel-Broschüre zum online Nachlesen
- Kapitel 1: Diskriminierung – um was geht’s eigentlich?
- Kapitel 2: Awareness Check – Teste Deine Einstellung zu Minderheiten? Wie besprichst Du Diskriminierungserfahrung in Gruppen?
- Kapitel 3: muslimische Künstler*innen im Interview (Soufeina von Tuffix, Younes und Fiete von den Datteltätern, Anja von I’slam, Boujemaa von UMA LAMO)
- pdf-Download der ilevel-Broschüre
- Bericht vom Kick-off Abend vom 18. Januar in Heilbronn
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